Der Nachlass von Hermann Gundert enthält gedruckte und lithographierte Bücher und Kleinschrifttum auf Malayalam, Kannada, Tulu, Tamil, Telugu, Sanskrit und anderen Sprachen, ferner indische Handschriften inklusive einiger Palmblatthandschriften, Abschriften von Texten und Notizbücher in verschiedenen Sprachen von Hermann Gundert und seinen Missionarskollegen.

In die Digitalisierung wurden ferner alle aus dem 19. Jahrhunderts stammenden Werke in südindischen Sprachen aufgenommen, die sich im Bestand der Universitätsbibliothek befinden, auch wenn sie nicht im engeren Sinne aus dem Nachlass Hermann Gunderts stammen. Hinzugenommen wurde englisch- und deutschsprachiges Material aus der Feder Gunderts und seiner engsten Mitarbeiter.

Hermann Gundert

Hermann Gundert (1814 - 1893) studierte Theologie in Tübingen, wo er auch Sanskrit lernte und 1835 zum Dr. phil. promoviert wurde. In England lernte er dann weitere indische Sprachen, nämlich Bengali, Telugu, Marathi und Urdu. 1838 ging er im Auftrag der Basler Mission nach Nettur, wo Malayalam gesprochen wird. Auch diese Sprache eignete er sich rasch an. In den folgenden 20 Jahren lebte er in Kerala und widmete sich intensiv der Erforschung der Malayalam-Sprache und -Schrift. Er war es, der eine erste bedeutende Grammatik des Malayalam verfasste sowie ein wegweisendes Malayalam-Englisch-Wörterbuch, das noch heute in Gebrauch ist. Zu seinen Pionierleistungen zählt auch die Einführung des „Sichelmond-Zeichens“ candrakala in der Malayalam-Schrift sowie der durchgängige Gebrauch der jüngst emergierten orthografischen Unterscheidung zwischen kurzem und langem „e“ und „o“.

Als Missionar fühlte sich Hermann Gundert berufen, die Bibel und andere religiöse Texte aus dem jeweiligen Original ins Malayalam zu übersetzen, aber auch vor literarischen Texten machte er nicht Halt und so birgt sein Nachlass eine große Bandbreite an verschiedenartigen Texten auf Malayalam und Kanaresisch.

Aus gesundheitlichen Gründen musste er Indien 1859 schweren Herzens für immer verlassen und zog nach Calw in den Schwarzwald, wo er seine literarischen Tätigkeiten weiter entfaltete und sein Wörterbuch und andere Werke fertigstellte.

Der Nachlass

Die Vielfalt der Interessen von Hermann Gundert spiegelt sich in seinem Nachlass wider: die Sammlung umfasst Grammatiken, Fibeln und religiöse Texte. Aber Gunderts literarische Interessen und Unternehmungen gehen weit über diesen Rahmen hinaus und es wäre eine grobe Unterschätzung dieses Gelehrten, ihn auf diese beiden Bereiche zu reduzieren.

Hermann Gundert versuchte vielmehr, eine ganze Kultur zu verstehen und literarisch zu erfassen, und so finden sich in seinem Nachlass berühmte Werke wie Indulēkha und Kundalatā, die ersten Romane auf Malayalam. Neben den modernen literarischen Werken seiner Zeit sammelte er auch alte Texte aus der Sanskrit- und Manipravalam-Tradition; so gibt es beispielsweise das Sanskritwerk Vajrasūcī, versehen mit einem Malayalam-Kommentar, oder Nalacaritam Maṇipravāḷam, eine weitgehend unbekannte Version der bekannten Nala-Geschichte. Letztere wurde in Kooperation mit der Malayalam-Universität in Tirur auf Grundlage der Tübinger Ausgabe in der eigens geschaffenen Reihe „The Herman Guṇṭarṭṭ Rekhālayaparampara / Hermann Gundert Archive Series“ als zweiter Band neu herausgegeben und kommentiert.

Besonders beschäftigt hat Gundert die Entstehungsgeschichte von Kerala, denn wir finden gleich mehrere Versionen von Kēraḷōlpatti, den Text Kēraḷapaḻama (History of Malabar from A. D. 1498 – 1631) und das in Kerala aufgrund ungewöhnlicher Herkunftslegenden der verschiedenen Kasten und Communities Aufsehen erregende Kēraḷanāṭakam (ebenfalls neu ediert als Band eins der Gundert Archive Series).

Im ans Malayalam-Sprachgebiet angrenzende Gebiet des Kanaresischen (Kannada) wirkte neben Gundert hauptsächlich sein enger Vertrauter und Mitarbeiter Hermann Mögling. Dieser sammelte und edierte neben grammatischen und lexikalischen Werken auch literarische Texte. In seiner 'Bibliothekca Carnatica' sollten die wichtigsten Werke der Kannada-Tradition erscheinen. Die Serie wurde nie vollendet, die ersten fünf Foliobände enthalten jedoch wichtige Texte zur religiösen und intellektuellen Geschichte Südindiens, etwa das Cannabasava Purāṇa, eine Hagiographie des Dichters und religiösen Revolutionärs Basava, oder Karnataka Bhārata, die äußerst populäre kanaresische Adaption des Mahābhārata.

Interessante Quellen nicht nur für Linguisten, sondern auch für Religions- und Kulturhistoriker dürften die verschiedenen Wörterbücher sein, die sich im Nachlass befinden, kann man doch anhand derselben vortrefflich die Verschiebung im Verständnis bestimmter Begriffe nachvollziehen. Hier seien etwa die Kannada-Latein- oder Malayalam-Latein-Wörterbücher genannt, die für die Missionen im Gebiet von Mysore von unterschiedlichen Institutionen zusammengestellt worden waren.

Basler Missionsgesellschaft

Hermann Gundert war von 1838 bis 1859 für die Evangelische Missionsgesellschaft in Basel, kurz ‚Basler Mission‘ genannt, in Südindien tätig. An dieser Stelle sei ausdrücklich auf die Datenbank des Basler Missionsarchiv hingewiesen, die einen großen Schatz an Bild- und Archivmaterial beinhaltet.

Der „Gundert-Chair“ für Malayalam an der Tübinger Indologie

An der Abteilung für Indologie der Universität Tübingen unterrichten seit Oktober 2015 Dozentinnen und Dozenten der Thunchath Ezhuthachan Malayalam University des indischen Bundesstaates Kerala regelmäßig „Malayalam“, eine Sprache, die im Südwesten Indiens von ca. 35 Millionen Menschen gesprochen wird. Sie ergänzen damit das international bekannte Angebot für Malayalam-Unterricht an der Abteilung für Indologie – ein europaweit einmaliger Schwerpunkt, durch den sich die Universität Tübingen seit mehr als 15 Jahren auszeichnet. Das jeweilige Semesterprogramm ist dem Vorlesungsverzeichnis ALMA zu entnehmen; Ansprechperson ist Prof. Dr. Heike Oberlin.

Mehr Informationen zum Gundert-Chair

Dokumentarfilm über Hermann Gundert

Am 5. Januar 2024 fand die Premiere des Films The German Step-Father of Malayalam Language | Hermann Gundert in Thiruvananthapuram statt. Im Mittelpunkt dieser Dokumentation stehen Leben und Wirken von Hermann Gundert in Kerala.